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- adhs.club – f.a.q.
Ursprünglich habe ich mir vorgenommen häufiger zu bloggen, aber wie das immer so ist: Wenig Zeit viele Interessen und Aufgaben. Ich möchte mir heute etwas Zeit nehmen um einige lose Gedanken mal in Form zu bringen. Folgende Fragen wurden in der Gruppe diskutiert. Ihr könnt mir gerne noch weitere Fragen vorschlagen, die an dieser Stelle beantwortet werden. Wo ich kann, werde ich im Laufe der Zeit die Quellen nachreichen, wichtig ist mir zunächst ein kurzer Überblick. Die f.a.q. wird fortlaufend erweitert.
ADHS? Habe ich das? Wie gehe ich vor?
Am ehesten findest du das heraus, indem du einen Fachmann konsultierst. Dein Hausarzt sollte dich an einen Psychotherapeuten, Psychiater oder Neurologen überweisen, hier kann die Diagnoselegung erfolgten. Medikamentös können dir nur Ärzte weiterhelfen, also Psychiater oder Neurologen. Psychologische Psychotherapeuten können dir helfen abseits der Pillenfrage dabei zu helfen besser mit der Störung umzugehen und dich besser an deine Bedürfnisse heranzutasten.
Sollte ich ADHS mit Medikamenten behandeln?
Eine Kombinationsbehandlung ist der beste Weg ADHS zu behandeln. Einerseits hilft die Medkation dabei, besser mit den Herausforderungen des Lebens klarzukommen, darüber hinaus verbessert sie die Therapiefähigkeit. Patienten können produktiver an sich selbst arbeiten. Darüber hinaus gibt es hinweise dafür, dass die Medikation die Neuroplastizität erhöht – die Fähigkeit des Hirns sich selbst zu vernetzen.
Mit welchen Medikamenten wird ADHS behandelt?
Für Erwachsenen sind die Stimulanzien Methylphenidat (Medikinet) und Amphetamin (Elvanse) zugelassen. Studien weisen eine hohe Wirksamkeit nach.
Als Nichtstimulanz ist Atomoxetin zugelassen (Strattera). Strattera hat eine mittlere Effektstärke. Off-Label wird häufig Guanfacin (Intuniv) verwendet, das ist für Kinder zugelassen, für Erwachsene in Deutschland bisher nicht – jedoch in anderen Ländern (USA, Japan), Guanfacin hat wie Stimulanzien eine hohe Effektsärke.
Neben oben genannten werden noch einige andere Präparate hinzugezogen. Meist wirken diese auf Noradrenalin-, Adrenalin, oder Dopaminrezeptoren. Hierunter fallen z.B verschiedene Antidepressiva, die nicht ausschließlich auf serotonergem Weg wirken.
Häufig wird ins Feld geführt, dass die Medikamente abhängig machen. Die empirischen Ergebnisse zeigen eindeutig, dass bei vorhandener ADHS, die medikamentöse Behandlung Suchterkrankungen und anderen Begleiterkranungen vorbeugen kann.
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es ADHS zu behandeln?
Psychotherapie kann die Symptomatik der ADHS nicht verändern. Es kann jedoch sehr hilfreich sein, zu lernen besser mit der Störung umzugehen. Hier geht es mehr um die Frage wie die Lebensführung positiv beeinflusst werden kann. Einer der wichtigsten Faktoren ist ein umfassendes Störungsverständnis, dass dabei helfen kann sich selbst zu erkennen, zu reflektieren und die Lebensbedingungen anzupassen. Das Störungsverständnis zu vermitteln ist die Hauptaufgabe von adhs.club.
Es gibt EEG-basierte Neurofeedbackverfahren, mit deren Hilfe man lernen man kann, sein Konzentration länger aufrecht zu erhalten. Entspannungsverfahren wie z.B. Progressive Muskelrelaxation oder Autogenes Training können dabei helfen, besser mit Stress umzugehen. Achtsamkeitsbasierte Verfahren können zeigen sich in der Therapie am wirksamsten. In der Regel wird für die Therapie ein Spezialist empfohlen, der ADHS über die ICD-10/ DSM-5-Kriterien hinaus versteht. Eine Liste kann von ADxS.org bezogen werden.
Sport kann die Neurotransmitterbildung begünstigen und hilft dabei Stresshormone abzubauen. Ergotherapie kann ebenso dabei helfen besser mit der ADHS zurecht zu kommen.
Welche Dinge kann ich in der Lebensführung beachten, wenn ich ADHS habe?
Es gibt vielfache Möglichkeiten die Lebensführung zu beeinflussen, damit die ADHS-Symptomatik nicht durch ungünstige Umgebungsvariablen verschärft wird:
- Regelmäßiger Sport
- Konsum von langkettigem Zucker
- Koffeinversorgung / Medikation
- Abwechslungsreicher Beruf
- Nutzung von Entspannungsverfahren, Mediation, Achtsamkeitsübungen
- Reizarme Umgebung (geräuscharmer Arbeitsplatz), Reizarme Interaktionsgeräte (Apps gegen Notification-Terror)
- Verzicht auf Fernsehen / Social Media
- Impulsaufschub (Ich brauch dieses Gadget wirklich, ich kann es auch morgen kaufen)
- Fidgeting, Multitasking (Spielzeuge zur Anspannungsreduktion, zeichnen beim Telefonieren)
- Visualisierung von Texten, Sachverhalten Anforderungen
- Etablieren eines transparenten Ordnungssystems (Beschriftungen)
- Spacecrafting (gestalte Orte so, dass alles was du brauchst, dort ist wo du es brauchst)
- Visualisierung von Vorhaben, Terminen, etc.
- Sag ja zu Alternativen: Versuche nicht Dinge Nicht zu tun. Erlerne Alternativen!
Hat ADHS auch Vorteile?
Es gibt Personen die versuchen die Vorteile von ADHS in die Perspektive zu nehmen. Eine dieser Personen ist Thom Hartmann in A Hunter in a Farmer’s World. Häufig werden folgende Vorteile mit ADHS in Verbindung gebracht:
- Offenheit
- Neophilie
- Flexibilität
- Divergentes Denken
- Gerechtigkeitssinn
- Authentizität
- Kreativität
Ist female-ADHS anders?
Es hat sicher Gründe, wieso ADHS bei Frauen häufig erst später und schlechter erkannt wird. Gerade hyperaktive Jungs fallen häufig durch Antisozialität und auffälliges Verhalten auf. Mädchen sind häufig angepasster und verhalten sich oft sozial erwünschter. Häufig werden sie deswegen als weniger „störend“ empfunden.
Weibliche ADHSler berichten häufiger von einer Veränderung der Symptomatik und der Medikation in Abhängigkeit vom Zyklus. Daher macht es unter Umständen Sinn Medikament- und Umgebungsvariablen in Abhängigkeit vom Zyklus zu variieren.
- ADHS – Das gibts doch gar nicht
Immer wieder begegne ich Menschen, aber leider auch oft Behandlern, die behaupten, dass ADHS eine Modeerkrankung sei. Ich habe schon leitende Psychotherapeuten sagen hören, dass es an zu viel Cola und zu wenig Sport läge und kenne auch Psychiater, die sich weigern diese Erkrankung zu behandeln. Oft hört man die Störung sei eine Erfindung der Pharmaindustrie.
Die erste Beschreibung von ADHS im deutschsprachigen Raum stammt von 1775, verfasst durch Melchior Adam Weikard und ist damit mitnichten eine Erfindung der neueren Zeit. 1978 – 200 Jahre später erst – wird in der ICD-9 die Störung als hyperkinetische Störung, als eigenes Krankheitsbild benannt. Und erst ab 1995 ist bekannt, dass diese Störung bis ins Erwachsenenalter erhalten bleiben kann.
Andere wiederum behaupten, dass es die Störung vielleicht gäbe, aber sie viel zu häufig dignostiziert werde, Ginsberg und Kollegen (2014) zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Gerade unter Erwachsenen und Frauen ist die Störung häufig nicht diagnostiziert, unbehandelt und wird von begleitenden Störungen verschleiert.
Die neurologenetischen Grundlagen der Störung sind sicher nicht erschöpfend erforscht, es ist aber schon einiges bekannt:
- Der genetische Einfluss auf das Entstehen der Störung beträgt 70-80% fanden Faraone und Kollegen (2005) heraus.
- Die Auswirkungen der Störung auf die (psychische) Gesundheit sind immens, konnten Kessler und Kollegen (2006) zeigen.
- ADHS kommt selten allein. Jacob und Kollegen (2007) fanden heraus, dass nur 20% der Betroffenen nur von ADHS betroffen sind. 80% der Betroffenen haben mindestens eine weitere psychische Störung. 40% der Betroffenen haben 3 oder mehr begleitende Störungen.
- 200-700 verschiedene Genorte werden vermutet, an denen die Störung kodiert wird. 12 Kandidatengene gelten als gesichert, fanden Demontis und Kollegen (2018).
- Simon und Kollegen (2009) finden, dass die Störung in 65% der Fälle bis ins Erwachsenenalter persistiert. In 50% der Fälle partiell, in 15% der Fälle vollständig.
Kurz lässt sich sagen: Viele kluge Menschen beschäftigen sich, mit zum Teil atemberaubendem Aufwand, mit einer Störung, die es nicht gibt – einer Modeerkrankung. Dieses wundervolle Accessoire kommt gleichsam mit sehr ansprechenden Features daher, wie zum Beispiel diesen, die Erskine und Kollegen (2016) gefunden haben:
- 3-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für Suizidversuche
- 4-fach erhöhter Wahrscheinlichkeit für Schulabbruch
- 3-fach erhöhter Wahrscheinlichkeit für Verkehrsunfälle
- 2-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit inhaftiert zu werden
- 3-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit einer frühen Schwangerschaft
- 4-fach erhöhter Wahrscheinlichkeit einer Kündigung
Und wenn das nicht modisch genug ist, können Kessler und Kollegen (2006) gleich noch ein paar modische Details nachliefern:
- 3-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit an Depressionen zu erkranken
- 7-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit an einer Bipolaren Störung zu erkranken
- 4-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit an einer PTBS zu erkranken
- 7-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Drogenabhängigkeit
- 3-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Substanzabhängigkeit
- 4-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für Impulskontrollstörungen
Wer wird da nicht neidisch? Um es mal einfach und verständlich zu formulieren: Wer behauptet, dass ADHS eine Modeerkrankung ist, ist nicht nur schlecht informiert, sondern zudem ein empathieloses Arschloch, weil er die zum Teil massiven Lebensbeeinträchtigungen der Betroffenen bagatellisiert, die Stigmatisierung der Störung zementiert und die Kommunikationsbarriere für den offenen Austausch erhöht.
Gerade unerkannte und unbehandelte ADHS im Erwachsenenalter ist ein massiver Risikofaktor für das Ausbilden weiterer psychischer Störungen. Eine Haltung in Form von „ADHS gibt es nicht“ kann man also getrost als unterlassene Hilfeleistung und massiven ärztlichen / therapeutischen Kunstfehler bezeichnen.
Bis heute ist es schwierig, gewillte und geeignete Therapeuten und Behandler zu finden oder auch nur zeitnah eine Diagnosestellung zu erwirken. Daher möchte ich Betroffene, Akteure und Angehörige hier vernetzen. Die ersten Zoom-Sessions würde ich gerne Mitte bis Ende Juni ansetzen. Vernetzt euch Eichhörnchen!